„Ich will die Führer der Welt nicht um unsere Zukunft anbetteln.
Ich werde stattdessen die Menschen auf der ganzen Welt bitten, zu erkennen, dass unsere politischen Führer versagt haben.
Weil wir uns einer existenziellen Bedrohung gegenübersehen und es keine Zeit gibt, diesen Weg des Wahnsinns fortzusetzen … “
Greta Thunberg
Interview mit Nachhaltigkeits-Experten Hermann Hofstetter
Erfahren Sie hier im Interview mit Hermann Hofstetter Interessantes rund um die alles entscheidende Klima-Frage, den CO2-Fußabdruck, sowie am Beispiel fünf konkreter Schritte, wie jede/r im Sinne des Pariser Klimaschutz-Abkommens KLIMANEUTRAL werden kann …
Foto: Hofstetter
Hermann Hofstetter ist Referent für Schöpfungsverantwortung der Erzdiözese München und Freising und Umweltmanagementbeauftragter des Ordinariats. Er ist im Vorstand vom TAGWERK Förderverein „Unsere Bio Nachbarn“ und Mitglied im Spezialist*innen-Team von Klimafreundlich Leben.
Schritt 1: Analyse zur „Klima-Katastrophe“
Franz:
Lieber Hermann – du nimmst in Bezug auf das Thema „Klima“ kein Blatt vor den Mund und sprichst ganz nach dem obigen Zitat von Greta Thunberg von einer sich abzeichnenden „Klima-Katastrophe“. Was veranlasst dich zu dieser klaren Aussage und … ist das überhaupt „menschengemacht“?
Hermann:
Unsere bevorzugte Lebens- und Wirtschaftsweise, die übrigens gerne als „Fortschritt und westliche Zivilisation“ bezeichnet wird, führt zur Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen. Warnungen dazu gibt es schon seit sehr langer Zeit – mindestens seit 50 Jahren kann man die zunehmenden Erkenntnisse einer Vielzahl von Forschungsergebnissen und populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen entnehmen. So erschien 1975 das Buch „Ein Planet wird geplündert“ von dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl und 1994 „Das Maß für ökologisches Wirtschaften“ von Prof. Schmidt-Bleek. Stellvertretend für viele andere, zeigten beide, für jede(n) nachvollziehbar und wissenschaftlich belastbar, dass die Menschheit sich in einer Sackgasse bewegt und in kurzer Zeit in mehrerlei Hinsicht auf eine Katastrophe zusteuern wird. 2021 steht die Menschheit am Rande des Abgrunds, und zwar nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch weil andere planetare Grenzen unseres Planeten bereits überschritten sind oder schon bald unumkehrbare „Kipppunkte“ erreicht werden. Die Menschheit – und hier in erster Linie die wohlhabenden, westlich geprägten Gesellschaften – hat es geschafft, ein sich gegenseitiges verstärkendes und kontinuierlich anwachsendes Katstrophengebilde zu erzeugen.
Konkret wieder zurück zum Klima: Alle ernstzunehmenden Wissenschaftler der Erde in den relevanten Wissenschaftsbereichen stimmen überein, was den IST-Zustand und die Ursachen der Klimaveränderungen betreffen und dass der Klimawandel in der Hauptsache menschengemacht ist. 1997 wurde in Kyoto („Kyoto-Protokoll“ der Klimarahmenkonvention) von 191 Ländern beschlossen, dass die Treibhausgas-Emissionen nicht mehr über das Niveau von 1990 steigen dürfen. Das vereinbarte Ziel, den Klimagas-Ausstoß weltweit um 5 % im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, ist gescheitert. Bereits bis 2010 waren die weltweiten Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 29 % gestiegen. Was zur Folge hat, dass inzwischen die CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 368 ppm (Stand 1990) auf 413 ppm (Stand Januar 2021) noch weiter stark angestiegen ist.
Dies führt nach den Berechnungen des Weltklimarats (2015 und 2018) dazu, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde schon um über ein Grad ansteigen wird, selbst wenn wir ab sofort weltweit kein einziges CO2-Molekül mehr ausstoßen würden. Es führt auch dazu, dass in den nächsten Jahrzehnten der Meeresspiegel sich um mindestens 1 m erhöhen wird und wir allein deswegen wahrscheinlich 3 Mrd. Menschen umsiedeln müssen. Selbst wenn wir bei ungefähr 2 Grad Erwärmung zu Liegen kämen (Mindestempfehlung „Pariser Klimabeschluss“) werden die negativen Auswirkungen auf die Lebensräume dieses Planeten enorm sein und die dadurch entstehenden Klimaveränderungs-Folgekosten um ein Vielfaches höher liegen als die jetzt benötigten Investitionen zum Gegensteuern. Eine Erwärmung um über 2 Grad hat der Homosapiens während der letzten 500.000 Jahre nicht erlebt und so wie es sich jetzt darstellt, würden bei diesem Szenario nur wenige Menschen überleben können. Stephan Hawking hat in seinem letzten Buch ausgeführt, dass bei einem Temperaturanstieg im Mittel von mehr als 2 Grad sich die Folgeeffekte so hochschaukeln würden, dass die Erde sich auf über 250 Grad erwärmen würde.
Die Zukunft unserer Kinder und der nächsten 100 Generationen sind also dem Altar des Kapitalismus, des ungehemmten Wachstumswahns, den Partikularinteressen und der infantilen Fortschrittsgläubigkeit geopfert worden.
Das kritisiert Greta!
Das kritisiert Papst Franziskus!
Beide rufen zur Umkehr auf, eine andere Art des Wirtschaftens und der Lebensstile weltweit und sofort. Wir müssen das Problem bei der Wurzel packen und da hilft es nichts, wenn wir keinen „Klartext“ sprechen – Jede und Jeder muss es sich zur Aufgabe machen und Verantwortung übernehmen, sonst haben wir keine Chance. Die eigentliche Katastrophe ist, dass wir zum „harmonischen“ Umsteuern mit Maximalkompromissen für Jederfraus Bedürfnisse keine Zeit mehr haben – wir haben keine Zeit mehr, bis der Letzte überzeugt werden kann und bis die Letzte endlich von der Coach runterkommt um zu Handeln. Das deutsche CO2-Budget ist 2026 aufgebraucht, so ist der Stand.
Franz:
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang für dich die Betrachtung des persönlichen CO2-Fußabdrucks?
Hermann:
Sich einzugestehen, dass man Teil des Problems und aber auch der Lösung ist, ist der Einstieg. Dauernd mit dem Finger auf andere Menschen und Länder zu zeigen ist scheinheilig, unehrlich und egoistisch. Es ist auch ein Verbrechen gegenüber den nachfolgenden Generationen, die sich erwarten dürfen, dass wir jetzt sofort handeln und dass unsere Antwort auf den Klimawandel fundamental sein wird.
Deutschland gehört zu den Ländern mit dem größten Fußabdruck und hat zudem als eine der reichsten Nationen sehr große Handlungsnotwendigkeiten. Es gibt in der Diskussion oft eine begriffliche Verwechslung mit dem „ökologischen Fußabdruck“, der jedoch den Verbrauch der natürlichen Ressourcen in Erdflächenanteilen je Erdenbürger / Nation berechnet – das ist etwas ganz anderes! Zum CO2-Fußabdruck – über den wir hier sprechen – gibt es noch ein paar Dinge zu beachten:
- Es handelt sich dabei um einen Durchschnittswert. Das bedeutet, jede(r) Deutsche verursacht im Durchschnitt jährliche CO2-Emissionen von 11,6t. Eingerechnet / umgerechnet sind dabei auch die öffentlichen Emissionen, die durch staatliche Institutionen / Infrastrukturleistungen entstehen. Es wird oft behauptet, diese können wir nicht beeinflussen, das ist so nicht richtig. Indem wir Druck ausüben, uns engagieren und andere politische Entscheidungen ermöglichen, können auch diese Emissionsanteile indirekt – durch unser Handeln – verringert werden.
- Nicht eingerechnet in den Durchschnitts-Fußabdruck sind Teile der Emissionen, die im Ausland entstehen, für Produkte und Leistungen, die wir beziehen. Selbstverständlich sind wir trotzdem auch verantwortlich dafür. Das macht für Deutschland sehr viel aus und ist immer mitzudenken. Also: Wegen des hohen Import-Anteils am Gesamtkonsum fällt ein großer Teil der von der deutschen Bevölkerung verursachten Treibhausgasemissionen im Ausland an. Damit ist real der individuelle Fußabdruck natürlich noch viel größer als in den meisten Veröffentlichungen dargestellt. So wurde für die konsumbedingten Treibhausgas-Emissionen einer/s Durchschnittsdeutschen ein Wert von 16,3t errechnet (vgl. Tukker et al.: The Global Resource Footprint of Nations: Carbon, water, land and materials embodied in trade and final consumption calculated with EXIOBASE 2.1. 2014). Für die Einschätzung der eigenen Bilanz wichtig: Durch einen hohen Konsum von ausländischen Produkten ergeben sich nochmal viel höhere Werte.
- Es gibt unterschiedliche Berechnungsmethoden für den CO2-Fußabdruck, daher differieren die Werte, die man in verschiedenen Veröffentlichungen findet, durchaus stark – ich würde zunächst beim Ausgangswert 11,6t bleiben.
- Wenn man den Fußabdruck für sich bestimmt, bspw. mit dem CO2-Rechner vom Umweltbundesamt (UBA), stößt man in Einzelfällen auf Schwierigkeiten, da nicht alle Lebensmodelle in so einem Bilanzierungsprogramm genau abbildbar sind. Man sieht aber schnell sehr deutlich, wo große Reduzierungen bei den eigenen Treibhausgas-Emissionen in den Handlungsfeldern Gebäude/Energie, Mobilität, Ernährung und Konsum möglich sind und wo nicht. Allein dieser Prozess öffnet schon die Augen, führt zu einem Bewusstseinsbildungsprozess und verstärkt normalerweise das Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Franz:
Wir wollen unseren Lesern in den nächsten Gemeinwohl-Rundbriefen aufzeigen, dass „jedermann/-frau“ durch konkretes Handeln relativ schnell KLIMANEUTRAL werden könnte und damit ganz privat die Pariser Klimaziele schnell erfüllen könnte.
Welche Schritte bedarf es dafür?
Hermann:
Angesichts der oben dargestellten Einordnung zum persönlichen Fußabdruck, weiß man ja schon relativ genau, wo man anpacken muss. Und beim „Anpacken“ geht es im Grunde immer um drei persönliche Entwicklungslinien, nämlich „Einsparen, „Verändern“ oder „ganz weglassen“. Da bei diesen Strategien in der Regel viel mit Anglizismen herumgeworfen wird, möchte ich das noch ein wenig erläutern:
Das erste, das Einsparen / besser machen, wird auch als „Effizienz“ bezeichnet. Der einfachste Ansatz – wenn auch in der Praxis oft nicht so leicht umsetzbar – ist weniger CO2 zu erzeugen, bspw. weil weniger fossile Brennstoffe verbraucht werden. Leider wird uns an dieser Stelle gerne „vorgegaukelt“, dass durch bessere – eben „effizientere“ – Technik vieles zu lösen ist; dieser Ansatz der Technikgläubigkeit ist in der Regel falsch, da die Neuproduktion wieder mit zusätzlichen CO2-Emissionen verbunden ist und wertvolle natürliche Ressourcen vernichtet werden. Bei dem Ansatz Effizienz muss „in echt“ – also bei der Gesamtbilanz – eingespart werden – sonst ist er nicht enkeltauglich!
Das zweite, das Austauschen / Verändern kann man auch als „Subsistenz“ bezeichnen. Das wäre der Fall, wenn ein Prozess des Handelns auf weitgehend emissionsfrei umgestellt wird. Dies trifft bspw. zu, wenn der Strombezug auf zertifizierten Ökostrom umgestellt wird; auch wenn der Stromverbrauch gleich hoch bleibt, ist die Emissionsquelle in der persönlichen Bilanz beseitigt.
Das dritte, das ganz weglassen wird auch als „Suffizienz“ bezeichnet. Der Ausdruck „Ersatzlos streichen“ trifft diese Strategie am besten. Das mag sich nun jede(r) selbst überlegen, welche Treibhausgas-Quellen aus dem eigenen Lebensstil ersatzlos gestrichen werden können und wir werden in den nächsten Folgen gemeinsam schauen, ob uns dazu vielleicht etwas einfällt.
Bei der begrifflichen Einordnung ist zu sagen, dass die drei Fachausdrücke vielfach in anderen Themenfeldern, „z.B. der Postwachstumsökonomie“, abweichend definiert werden, daher macht es durchaus Sinn sich wieder der deutschen Bedeutungen zu vergewissern und diese auch zu benutzen; wir wollen ja immer richtig verstanden werden…
Selbstverständlich ist der Königsweg der, der für jede(n) am schnellsten große CO2-Reduzierungen bringt – da gibt es kein Patentrezept, was zu einem passt, muss man selbst herausfinden und sich als Ideenlieferant die Beispiele anderer anschauen. Das geht vor allem dann leichter, wenn man mit Gleichgesinnten an den Lösungen arbeitet, wie es beim Spiel „Klimafreundlich Leben“ der Fall ist.
Jedenfalls wird immer – auch nach Umsetzung aller Maßnahmen – ein Restanteil von Treibhausgas-Emission übrigbleiben. Um dieses Ungleichgewicht in der persönlichen Bilanz zu beseitigen bleibt nur noch der Weg der Kompensation. Das ist ein zweischneidiges Schwert und wir werden in der Interviewserie noch näher darauf eingehen, zunächst kann sich jede(r) auf www.klima-kollekte.de selbst einen Eindruck verschaffen, was dort stattfindet.
Franz:
Beim nächsten Rundbrief starten wir mit dem Thema „Effizienz“ – wie wird das ablaufen?
Hermann:
Da werden wir anhand von beispielhaften Effizienz-Steigerungs-Maßnahmen in den Bereichen Ernährung, Konsum, Mobilität und Gebäude/Energie aufzeigen, wie dadurch der durchschn. Fußabdruck des/der Deutschen reduziert werden könnte.
Heute enden wir jedoch mit einem Quiz!
Als Grundlage dazu nehmen wir vier Maßnahmen als Beispiele, deren Umsetzung von leicht bis schwer geht – für das eine oder andere Beispiel braucht es auch Mut oder Kraft:
Beispiel-Maßnahme 1 – Den Strombezug von „dreckigem Deutschlandmix“ auf zertifizierten Ökostrom umstellen.
Beispiel-Maßnahme 2 – Die Jahresfahrleistung mit einem Klein-Pkw (mit spritsparendem Verbrennungsmotor) um 10.000 km reduzieren.
Beispiel-Maßnahme 3 – Sich intensiv politisch engagieren für den Klimaschutz.
Beispiel-Maßnahme 4 – Den deutschen Durchschnitts-Speiseteller der eigenen Ernährung für sich umstellen zu 100% biologisch, überwiegend regional & saisonal bei starker Reduzierung tierischer Produkte.
Diese 4 Maßnahmen ergeben in Summe eine Reduktion der persönlichen jährlichen Treibhausgas-Emissionen von 11,6 t auf ca. 6 t, was schon gewaltig ist.
Und nun kommt die eigentliche Quizaufgabe liebe Leser*innen:
Nämlich jeder Maßnahme oben soll der ungefähre Einsparungsanteil zugewiesen werden, also: zu welcher oben beschriebener Beispiel-Maßnahme (1 bis 4) passen nachfolgende Einzelwerte – was glauben Sie?
- 3 to
- 1,5 to
- 1 to
- 0,5 to
Hinweis: Alle Werte stark gerundet! Die Lösungsreihenfolge ist nicht 1a, 2b, 3c, 4d!
Nächstes Mal kommt die Auflösung …
Franz:
Danke Hermann für die wachrüttelnde Klima-Ist-Analyse und die spannende Aussicht auf´s nächste Mal!